Die Tage nach dem Schulschluss waren langweilig, sehr entspannend, aber langweilig. Ich entschloss mich also dafür einen Job zu besorgen..natürlich nur übergangsweise und um mir meine Reise nach Korea zu finanzieren. Gesagt, getan und ich hatte plötzlich einen Beruf, den ich mir nie zugetraut hätte. Ich finde mich also seit einem Monat fast täglich in einem Glaswerk beim Flascheneinpacken. Wie das Ganze in etwa abläuft, habe ich vor ein paar Tagen, in einem Beitrag für einen Poetryslam, zusammengefasst:
Es ist 4 Uhr.
Der Wecker klingelt. Als ich mich im
Bett aufsetze, rinnt mir eine Träne über die Wange. Ich bin so früh
eher Sorgen- als Morgenmensch. Nichtsdestotrotz mache ich mich auf
den Weg in die Küche und warte auf wackeligen Beinen darauf, dass
die Kaffeemaschine macht was sie soll. Danach gehe ich ins Bad, putze
mein Gesicht und wasche mir die Zähne. Wie schon erwähnt, ist es
nicht meine Uhrzeit. Nachdem die Morgentoilette erledigt ist, setze
ich mich in mein Auto. Kaum drin, Musik voll aufgedreht. Gut so, die
Nachbarn sollen an meinem Leid teilhaben.
Es ist 5:20 Uhr.
Ich erreiche den Parkplatz der Firma
und stelle mich möglichst nicht-platzsparend darauf.
Als ich an der Pforte ankomme, schaut
mich der Pförtner grimmig an. Ich schaue grimmig zurück und er
lässt mich durch die automatische Drehtür gehen. Nonverbale
Kommunikation ist toll.
Es ist 5:35 Uhr
Ich stehe vor dem Fließband. Die
Nachtschicht hat sich mit einem „Schöne Schicht“ von mir
verabschiedet. Verdammte Sadisten.
Es ist 5:50 Uhr
Die ersten paar Kisten sind mit
Flaschen vollgepackt. Ich fühle mich wohl und weiß, dass heute die
Arbeitszeit bestimmt schnell umgehen wird.
Es ist 6:10 Uhr
Nein. Falsch.
Es ist 7:00 Uhr
Meine erste zehnminütige Pause
beginnt. Man darf in der Fabrik nicht essen. Ich mache mich auf den
Weg zur Kantine. Als 3 Minuten um sind und nicht mal die Hälfte des
Weges hinter mir liegt, entscheide ich mich um.
Es ist 7.10 Uhr
Ich stehe am Fließband. Die Pause habe
ich mit rumlaufen verbracht. Erfrischend.
Es ist 7:33 Uhr
Ich hasse meinen Job.
Es ist 7:34 Uhr
Ich denke darüber nach wie viel ich
verdiene.
Es ist 7:35 Uhr
Naja, vielleicht ist er doch nicht so
schlimm.
Es ist 7:55 Uhr
Doch. Ist er.
Es ist 8:35 Uhr
Innerhalb der letzten halben Stunde
fielen mir sämtliche KinderserienIntros wieder ein und spielten in
meinem Kopf Dauerschleife. Gleichzeitig. Jedoch ist gedachte Musik
immer noch besser als das Rattern der Maschinen.
Es ist 9:10 Uhr
Ich habe Frühstückspause und sitze in
der Kantine. Wenigstens ist der Kaffee gut. Ich starre aus dem
Fenster. Gabelstapler fahren draußen um die Wette. Es sieht sehr
lustig aus. Ich lache nicht.
Es ist 9:40 Uhr
Ich stehe wieder am Fließband. Als ich
eine Flasche wegwerfen will zerbricht sie am Müllrohr und Scherben
fliegen mir um die Ohren. Ein Teil meines Handschuhs färbt sich
blutrot. Ich sage: „Aua.“ Aber spüre keinen Schmerz.
Es ist 10:10 Uhr
Habe mich an dem Verpackungskarton
geschnitten. Der Schnitt ist klein. Ich hatte nie schlimmere
Schmerzen.
Es ist 10:20 Uhr
Ich hole mir einen Stuhl.
Es ist 10:30 Uhr
Eine ärgerliche deutsche Frau Typ „Ich
habe ja nichts gegen Ausländer, aber...“ steht vor mir. Sie sieht
ärgerlich aus. Wahrscheinlich weil sie Deutsch ist. Nein, falsch.
Sie ist ärgerlich, weil ich falsch auf meinem Stuhl sitze. Wie
ärgerlich.
Es ist 10:50 Uhr
Die deutsche Wutbürgerin spricht mit
meinem türkischen Mitarbeiter. Sie ist wütend, weil er gesagt hat,
ich darf sitzen wie ich will. Und weil er Türke ist.
Es ist 11:10 Uhr
Ich habe keinen Stuhl mehr.
Es ist 11:30 Uhr
Noch 2 Stunden, bis ich heim kann.
Es ist 11:55 Uhr
Die Flaschen verspotten mich.
Es ist 12:00 Uhr
Ich muss zu einem neuen Arbeitsplatz
gehen. Direkt neben der Gießerei. Meine Arbeitstemperatur steigt auf
45°C. Ich denke ich weiß, wer es eingeleitet hat.
Es ist 12:30 Uhr
Ich klammere mich mit einer Hand an
eine Wasserflasche, mit der anderen stopfe ich Glasflaschen in
Kartons. Die Flaschen sind glühend heiß. Meine Körpertemperatur
auch. Es riecht nach Brathähnchen.
Es ist 13:00 Uhr
Bald, bald kann ich nach Hause. Ich
stelle den nächsten vollen, brennenden Karton auf die Palette. Bald,
bald bin ich frei.
Es ist 13.10 Uhr
Ich schaue wie gebannt auf die Uhr. Das
ist die längste halbe Stunde meines Lebens.
Es ist 13:13 Uhr
Ich schreie. Innerlich.
Es ist 13:20 Uhr
Meine Hände zittern und mein Kreislauf
ist kurz davor eine Linie zu werden. Wann ist diese Schicht endlich
um?
Es ist 13:30 Uhr
ICH BIN FREI, sobald die Spätschicht
kommt.
Es ist 13:35 Uhr
Die Spätschicht ist spät.
Es ist 13:40 Uhr
Sehr spät.
Es ist 13:42 Uhr
Ich bin endlich frei und trete hinaus
in das Sonnenlicht. Ich mache Freudensprünge und fistbumpe den
Gabelstapler. Als ich an der Drehtür stehe, ist der Pförtner beim
Mittagessen.
Ich kollabiere. Als ich wieder
aufwache, ist die Drehtür geöffnet.
Es ist 14:30 Uhr
Ich schreie meine Oma an, als ich
zuhause ankomme.
Nicht böswillig, sondern einfach, weil
das Brummen der Maschinen immer noch in meinen Ohren liegt.
Es ist 14:50 Uhr
Ich falle gesichtvorwärts in mein
Bett. Endlich.
Abschließend kann ich nur noch Buddha
zitieren:
Fließbandarbeit ist scheiße