Mittwoch, 2. August 2017

"Ein Tag aus meinem aktuellen Leben" oder "Hi, ich war bei einem Poetry Slam"

Hallo allesamt! Wie schon befürchtet, konnte ich mein Versprechen mehr zu posten nicht wirklich einhalten..was für eine Überraschung. Heute allerdings habe ich mir gedacht: "Oh Hey, vielleicht solltest du mal wieder etwas hochladen"
Die Tage nach dem Schulschluss waren langweilig, sehr entspannend, aber langweilig. Ich entschloss mich also dafür einen Job zu besorgen..natürlich nur übergangsweise und um mir meine Reise nach Korea zu finanzieren. Gesagt, getan und ich hatte plötzlich einen Beruf, den ich mir nie zugetraut hätte. Ich finde mich also seit einem Monat fast täglich in einem Glaswerk beim Flascheneinpacken. Wie das Ganze in etwa abläuft, habe ich vor ein paar Tagen, in einem Beitrag für einen Poetryslam, zusammengefasst:

Es ist 4 Uhr.
Der Wecker klingelt. Als ich mich im Bett aufsetze, rinnt mir eine Träne über die Wange. Ich bin so früh eher Sorgen- als Morgenmensch. Nichtsdestotrotz mache ich mich auf den Weg in die Küche und warte auf wackeligen Beinen darauf, dass die Kaffeemaschine macht was sie soll. Danach gehe ich ins Bad, putze mein Gesicht und wasche mir die Zähne. Wie schon erwähnt, ist es nicht meine Uhrzeit. Nachdem die Morgentoilette erledigt ist, setze ich mich in mein Auto. Kaum drin, Musik voll aufgedreht. Gut so, die Nachbarn sollen an meinem Leid teilhaben.

Es ist 5:20 Uhr.
Ich erreiche den Parkplatz der Firma und stelle mich möglichst nicht-platzsparend darauf.
Als ich an der Pforte ankomme, schaut mich der Pförtner grimmig an. Ich schaue grimmig zurück und er lässt mich durch die automatische Drehtür gehen. Nonverbale Kommunikation ist toll.

Es ist 5:35 Uhr
Ich stehe vor dem Fließband. Die Nachtschicht hat sich mit einem „Schöne Schicht“ von mir verabschiedet. Verdammte Sadisten.

Es ist 5:50 Uhr
Die ersten paar Kisten sind mit Flaschen vollgepackt. Ich fühle mich wohl und weiß, dass heute die Arbeitszeit bestimmt schnell umgehen wird.

Es ist 6:10 Uhr
Nein. Falsch.

Es ist 7:00 Uhr
Meine erste zehnminütige Pause beginnt. Man darf in der Fabrik nicht essen. Ich mache mich auf den Weg zur Kantine. Als 3 Minuten um sind und nicht mal die Hälfte des Weges hinter mir liegt, entscheide ich mich um.

Es ist 7.10 Uhr
Ich stehe am Fließband. Die Pause habe ich mit rumlaufen verbracht. Erfrischend.

Es ist 7:33 Uhr
Ich hasse meinen Job.

Es ist 7:34 Uhr
Ich denke darüber nach wie viel ich verdiene.

Es ist 7:35 Uhr
Naja, vielleicht ist er doch nicht so schlimm.

Es ist 7:55 Uhr
Doch. Ist er.

Es ist 8:35 Uhr
Innerhalb der letzten halben Stunde fielen mir sämtliche KinderserienIntros wieder ein und spielten in meinem Kopf Dauerschleife. Gleichzeitig. Jedoch ist gedachte Musik immer noch besser als das Rattern der Maschinen.


Es ist 9:10 Uhr
Ich habe Frühstückspause und sitze in der Kantine. Wenigstens ist der Kaffee gut. Ich starre aus dem Fenster. Gabelstapler fahren draußen um die Wette. Es sieht sehr lustig aus. Ich lache nicht.

Es ist 9:40 Uhr
Ich stehe wieder am Fließband. Als ich eine Flasche wegwerfen will zerbricht sie am Müllrohr und Scherben fliegen mir um die Ohren. Ein Teil meines Handschuhs färbt sich blutrot. Ich sage: „Aua.“ Aber spüre keinen Schmerz.

Es ist 10:10 Uhr
Habe mich an dem Verpackungskarton geschnitten. Der Schnitt ist klein. Ich hatte nie schlimmere Schmerzen.

Es ist 10:20 Uhr
Ich hole mir einen Stuhl.

Es ist 10:30 Uhr
Eine ärgerliche deutsche Frau Typ „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...“ steht vor mir. Sie sieht ärgerlich aus. Wahrscheinlich weil sie Deutsch ist. Nein, falsch. Sie ist ärgerlich, weil ich falsch auf meinem Stuhl sitze. Wie ärgerlich.

Es ist 10:50 Uhr
Die deutsche Wutbürgerin spricht mit meinem türkischen Mitarbeiter. Sie ist wütend, weil er gesagt hat, ich darf sitzen wie ich will. Und weil er Türke ist.

Es ist 11:10 Uhr
Ich habe keinen Stuhl mehr.

Es ist 11:30 Uhr
Noch 2 Stunden, bis ich heim kann.

Es ist 11:55 Uhr
Die Flaschen verspotten mich.

Es ist 12:00 Uhr
Ich muss zu einem neuen Arbeitsplatz gehen. Direkt neben der Gießerei. Meine Arbeitstemperatur steigt auf 45°C. Ich denke ich weiß, wer es eingeleitet hat.

Es ist 12:30 Uhr
Ich klammere mich mit einer Hand an eine Wasserflasche, mit der anderen stopfe ich Glasflaschen in Kartons. Die Flaschen sind glühend heiß. Meine Körpertemperatur auch. Es riecht nach Brathähnchen.

Es ist 13:00 Uhr
Bald, bald kann ich nach Hause. Ich stelle den nächsten vollen, brennenden Karton auf die Palette. Bald, bald bin ich frei.

Es ist 13.10 Uhr
Ich schaue wie gebannt auf die Uhr. Das ist die längste halbe Stunde meines Lebens.

Es ist 13:13 Uhr
Ich schreie. Innerlich.
Es ist 13:20 Uhr
Meine Hände zittern und mein Kreislauf ist kurz davor eine Linie zu werden. Wann ist diese Schicht endlich um?

Es ist 13:30 Uhr
ICH BIN FREI, sobald die Spätschicht kommt.

Es ist 13:35 Uhr
Die Spätschicht ist spät.

Es ist 13:40 Uhr
Sehr spät.

Es ist 13:42 Uhr
Ich bin endlich frei und trete hinaus in das Sonnenlicht. Ich mache Freudensprünge und fistbumpe den Gabelstapler. Als ich an der Drehtür stehe, ist der Pförtner beim Mittagessen.
Ich kollabiere. Als ich wieder aufwache, ist die Drehtür geöffnet.

Es ist 14:30 Uhr
Ich schreie meine Oma an, als ich zuhause ankomme.
Nicht böswillig, sondern einfach, weil das Brummen der Maschinen immer noch in meinen Ohren liegt.

Es ist 14:50 Uhr
Ich falle gesichtvorwärts in mein Bett. Endlich.

Abschließend kann ich nur noch Buddha zitieren:
Fließbandarbeit ist scheiße